ethical fashion for all of you
20. Januar 2021 // Text: Katharina (oft genannt Kathi) // Fotos: intern

Hallo 2021 – hallo Lockdown die 2.

Ein scheinbar harmloses Interview

Ganz unbedarft ging ich in diesen für eine Stunde angelegten Interviewtermin. Ich hatte mir davor ein paar Notizen gemacht, weil die fünf Fragen, die ich vorab zugesandt bekommen hatte, nicht mal eben so aus der Lameng zu beantworten waren.

  1. Wie wirkt sich die Pandemie auf Ihre persönliche finanzielle Situation aus?
  2. Wie wirkt sich die Pandemie auf die Wirtschaft in Ihrem Land aus?
  3. Wie wirkt sich die Pandemie auf das globale Wirtschaftssystem aus?
  4. Was bedeutet das exponentielle Schuldenwachstum für das Weltwirtschaftssystem?
  5. Wie könnte ein gerechtes Wirtschaftssystem aussehen?

Mit meinen Stichworten im Kopf stand ich dann gegen 10:30 Uhr im Shop und los ging's. Angelika stellte mir die erste Frage – und ich fing an abzuspulen… Für mich bedeutet diese Pandemie in Stichworten: Rücklagen sind jetzt aufgebraucht, ohne Einnahmen kein Geld für Mieten, Gehälter und Lieferantenrechnungen, Unsicherheit ob und wann es Hilfen vom Staat gibt... Stehen wir kurz vor einer Insolvenz? dachte ich so bei mir. Nein, die tritt ja erst ein, wenn man zahlungsunfähig ist. Also war klar, damit wir das nicht werden, müssen wir die Ärmel hochkrempeln und Geld verdienen. Bis Hilfen kommen, wäre es wohl zu spät.

Was ist anders an Lockdown Nummer 2?

Im ersten Lockdown traf mich die vierwöchige Schließung wie ein Hammerschlag. Das war ein Schock und eine völlig neue Situation, der ich noch nie ausgesetzt war. Bei der Verkündung des jetzigen Lockdowns war ich gefasster, obwohl ich schon intuitiv wusste, dass dieser zweite Lockdown weitaus schlimmer werden könnte finanziell gesehen. Umsatzeinbußen allein im Dezember von rund 30.000 € – das sind für ein kleines Unternehmen wie unseres keine Peanuts. Im Januar gar kein Umsatz – und im Februar? Vielleicht auch keiner. Außerdem keine Soforthilfen schnell und unbürokratisch wie beim ersten Lockdown und Winterware die bei Wieder-Öffnung keiner mehr braucht.
Wir sind ein flexibles, kreatives und sehr engagiertes Team, das schon einmal eine Krise bewältigt hat. Und ich zweifele keine Sekunde daran, dass wir uns auch diesmal erfolgreich behaupten werden. Aber dieses Mal fühlt es sich irgendwie bedrohlicher an. Das spüre ich unweigerlich, als ich plötzlich und völlig von mir selbst überrascht beim Beantworten der ersten Frage anfange zu weinen. „Sehr authentisch, super für eine Doku“, witzelte ich dann rum, aber hier im Blog beschreibe ich dir den Unterschied.

Die Reise mit kiss the inuit

Vor genau zehn Jahren, im Frühjahr 2011, steckte ich in den Vorbereitungen von kiss the inuit, mietete am 1. Juli das Ladenlokal in der Schillingstraße und eröffnete feierlich am 16.09.2011 einen ersten Organic Fashion Store. Was dann begann, war eine Reise. Eine Reise in ein völlig neues Kapitel meines Lebens, das mich wie kein anderes geprägt und auch weiterentwickelt hat. In diesen zehn Jahren wuchsen meine beiden Kinder heran, und gleichzeitig auch noch eine andere Familie: die „kiti-Familie“. Wir sind mittlerweile auf zwölf „Kitis“ herangewachsen, davon sind einige lange dabei, einige ganz frisch. Zwei Familien in zehn Jahren – das bedeutet Verantwortung, Durchsetzungskraft, und Liebe und Energie für das, was ich tue. Ohne diese drei Skills kann man es gleich lassen mit einem (Family-)Business. Denn es ist wirklich kein Zuckerschlecken. Ein Unternehmen zu führen bedeutet immer zu arbeiten – ich empfinde es übrigens nicht als Arbeit, sondern als Aufgabe, die mir wirklich Spaß macht.

Sicherheit gibt es nicht

Ende 2019/ Anfang 2020 schlich sich dann zum ersten Mal ein (trügerisches) Gefühl von Sicherheit bei mir ein. Damit meine ich die finanzielle Sicherheit: Kredite fast abgezahlt, Umsätze stabil auf gutem Niveau, eine treue Stammkundschaft, das Team gut aufgestellt. Ein bescheidenes, aber immerhin regelmäßiges Gehalt für mich, Lohnerhöhungen für die Mitarbeiter*innen, alle Rechnungen zum Jahresende bezahlt. Und ich dachte: supercool, ich hab‘s geschafft! Das war mein Gefühl vor 12 Monaten. Und dann kam Corona.

Mit Corona wurde mir schmerzlich bewusst, dass es eine Illusion ist, zu glauben, sich jemals in Sicherheit zu wiegen. Wir sind auf einem Kampffeld, das regelmäßig neue Herausforderungen bereit hält. Die Pandemie mit den Lockdowns ist dabei nicht einmal die größte oder schlimmste in den vergangenen zehn Jahren. Es gab schon heftigere Einschläge, wie zum Beispiel die Kreditabsage der KfW-Bank 2014, mitten in meinen Umbauarbeiten für den zweiten Laden in Bonn. Aber trotzdem ist das hier eine andere Dimension.

Survival of the fittest

Es fühlt sich an, als ob jemand ein Körperteil aus mir herrausgerissen hätte. Es tut einfach weh. Und ich habe mich gefragt, warum ich so krass fühle. Ich denke, ich weiß es jetzt. Es geht eben jetzt nicht mehr um den Aufbau von kiss the inuit – sondern es geht um den Erhalt. Ohne es je geplant zu haben, habe ich etwas geschaffen: Für mein Team einen Job mit Sinn und guter Arbeitsatmosphäre, für die Kund*innen einen tollen Einkaufsort mit den schönsten biofairen Labels, für die Akteure einen zuverlässigen Kooperationspartner und für die Gesellschaft ein Unternehmen mit Gemeinwohl- statt Profitstreben. Kann dies alles kaputt gemacht werden, weil ein Virus die Welt auf den Kopf stellt? Wer oder was bleibt am Ende dieser Pandemie übrig? Können wir die Entwicklung noch beeinflussen und den Anforderungen des neuen Jahrzehnts überhaupt gerecht werden?

Ich habe Frage 5 – „Wie könnte ein gerechtes Wirtschaftssystem aussehen?“ – damit beantwortet, dass die Gesellschaft den Change schaffen muss, hin zu einem anderen Wirtschafsmodell, welches auf besagtem Gemeinwohl basiert. Nur dann werden wir von kiss the inuit wohl diese Pandemie überstehen. Soziale Partnerschaften und eine wertebasierte Community, die in diesen Tagen und Wochen kiss the inuit am Leben hält, sind für mich der Schlüssel zu einer besseren Welt. Wir erfahren zum zweiten Mal so viel Unterstützung und Hilfsbereitschaft, dass ich mir wünsche, so muss Wirtschaft auch im Großen funktionieren. Geben und Nehmen, Vertrauen und Achtung.
Das Virus ist da und geht nicht mehr weg, aber wir haben es noch in der Hand, mit welchen Akteuren wir es künftig zu tun haben wollen.

(Beitrag auf Instagram)